EHEC

Von Alfred Dagenbach

Wie das Stochern mit der berühmten Stange im Nebel geht die Suche nach der Quelle für den tödlichen EHEC-Erreger über die Bühne und die EU-Kommission appellierte bereits an Deutschland, sich stärker um die Aufklärung der EHEC-Kontamination zu bemühen. In einer von EU-Gesundheitskommissar John Dalli veröffentlichten Erklärung wies die EU-Kommission ein generelles Produktverbot insbesondere für gewisse spanische Produkte zurück. Deutschland solle sich stärker bemühen, nach der Quelle zu forschen, mahnte der Kommissar.
Unterdessen gibt es (wieder einmal…) eine neue Spur zur Herkunft des aggressiven Ehec-Erregers. Jetzt sollen „Sprossen“, sprich Pflanzenkeimlinge, die Ursache für die Epidemie mit bisher 21 Toten in Deutschland sein. Laut dem niedersächsischen Sprecher des Landesgesundheitsministeriums, Gert Hahne handle es sich um roh in Salaten verzehrte Sprossen. Und Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU) macht dafür einen Gartenbaubetrieb aus dem Landkreis Uelzen als Quelle für die Infektionen aus. Dieser züchte aus teils aus Fernost geliefertem Saatgut zu Sprossenmischungen für Salate. Das Saatgut wird mit Feuchtigkeit bei 37 Grad C angezogen. Dies wären ideale Bedingungen für Keime aller Art. Eine Bestätigung als Ursache gibt es jedoch dafür so wenig wie in allen anderen Fällen.
Nach wie vor suchen die zuständigen Behörden daher weiterhin fieberhaft nach der Ursache der gefährlichen Ehec-Darminfektionen. Nachdem zuerst Gurken, Tomaten und Salat aus spanischen Herkünften in Verdacht geraten sind, schwimmt man jetzt weiter auf einer Woge der Unwissenheit: Der die Epidemie auslösende Coli-Bakterien-Typ (Escherichia coli) war nicht vom gleichen Stamm, wie sie auf den Gurken gefunden wurden. Coli-Bakterien sind normalerweise Bakterien, die im Darm von Mensch und Tier die Verdauung unterstützen. Über Gemüse und Pflanzen kann Ehec also nur dann übertragen werden, wenn sie zuvor mit Ausscheidungen von Menschen (Latrine) und Tieren (Gülle) behandelt wurden. Ohnehin war es seltsam, daß Gurken und Tomaten mit Gülle berieselt worden sein sollen, die die Keime auf die Früchte übertragen hätte können. So etwas ist nicht nur für alles Gemüse verboten, sondern auch zumindest bei diesen Pflanzen, die am Stab oder einer Spannschnur kultiviert werden, völlig unüblich. Bestenfalls hätte der am Boden wachsende Salat damit übergossen werden können – was aber auch irre gewesen wäre, denn ein derart „behandelter“ Salat wird schon aus der daraus folgenden Geruchsbildung unverkäuflich. Letztlich hätte es auch die Möglichkeit gegeben, daß der Boden vor dem Pflanzen mit Gülle gedüngt worden wäre. Dann aber ist es höchst unwahrscheinlich, daß das Bakterium in den Kreislauf der Pflanzen hätte gelangen können, denn die Wasser- und Nährstoffe aufnehmenden feinen Haarwurzeln gesunder Pflanzen sind eine natürlicher Barriere dagegen.
Eine Spur vermutete man bei einem Restaurant in Lübeck, bei dem mehrere Besuchergruppen mit Infektionen bedacht worden sein sollen. Möglich wäre ja ein Koch gewesen, der selbst daran gelitten und so das Bakterium beim Zurichten von Salaten hätte übertragen können. Doch auch das wäre eine seltsame Ursprungsquelle, denn die Mitarbeiter des Lokals sind allesamt nach wie vor gesund – oder schon resistent?
In Verdacht geraten sind unterdessen auch Biogasanlagen gekommen. Der Leiter der Agrar- und Veterinär-Akademie aus dem münsterländischen Horstmar, Ernst-Günther Hellwig, postulierte die Theorie, daß es möglich sei, daß die EHEC-Erreger aus Biogasanlagen kommen. Temperaturen von über 70 Grad töten die Bakterien in thermophil betriebenen Anlagen aber ab.
Der Gießener Veterinärwissenschaftler Georg Baljer hält daher die Biogasanlagen-Hypothese dagegen für wenig wahrscheinlich. Er vermutet die lange Trockenheit im Frühjahr und hält es für möglich, daß in dieser Zeit fäkalverseuchtes Wasser auf die Felder gelangte – und so das Gemüse mit dem gefährlichen Erreger in Kontakt kam. Verseuchtes Wasser sei auch die Ursache einer ähnlichen Epidemie in Schottland gewesen, die im Jahr 2000 grassierte, begründete Baljer seine Vermutung. Vor Jahren flog in Portugal das Bewässern einer Erdbeerplantage mit Abwasser aus einer Kläranlage auf. Man darf raten, wer die meisten dieser Erdbeeeren genossen hat.
Der Professor am Universitätsklinikum Halle und Mikrobiologe Alexander Kekulé wiederum meint, daß der gefährliche EHEC-Typus durch den unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika gefördert worden ist. Das könnte in einem Krankenhaus oder bei der Viehzucht passiert sein. Bekannt ist, daß durch den Einsatz von Antibiotika bei Bakterien Resistenzen entwickelt werden. Außerdem können die Coli-Keime im Darm untereinander Gene austauschen, was jetzt auch geschehen sein könnte.
Tatsächlich wird das Bakterium auch in der Gentechnik als Transporteur von Genen in die Zellen benutzt. Allerdings geschieht dies im Labor. Demnach müßte es die Freisetzung eines gezüchteten Bakterienstammes sein, der ein bestimmtes Merkmal auf eine Zellkultur hätte übertragen sollen, was an Hand der Genehmigungs- und Sicherheitsvorgaben ziemlich unwahrscheinlich sein dürfte und – da die Labore den Behörden bekannt sind – längst bekannt geworden wäre.
Bleibt also noch die Variante der illegalen Herstellung des EHEC-Bakteriums und die Spekulation, ob es sich um einen terroristischen Anschlag handelt, wie der Berliner Hygiene-Experte Klaus-Dieter Zastrow vom Vivantes-Klinikum in die Diskussion bringt. Doch dann wäre sicher längst ein Droh- oder Bekennerschreiben aufgetaucht, denn sonst macht eine solche Aktion kaum einen Sinn.
Nicht fehlen dürfen natürlich auch wieder Verschwörungstheorien, wie sie in raffinierter Weise von einschlägig als Geschäftemacher mit der Angst bekannten Verlagen verbreitet werden. Dort sichert man sich bei der Verbreitung der Halbwahrheiten dadurch ab, daß man hinter die Verdächtigungen ein Fragezeichen setzt und über tatsächliche Vorgänge (wie es ein so „geheimes B-Waffen-Forschungsprojekt der Bundeswehr“ sein soll – und es die Autoren trotzdem ganz genau wissen!), einfach berichtet, ohne Fakten zu präsentieren. Alles andere wird dann zum Selbstläufer – vor allem in die Kassen derer, die gutgläubigen Mitbürgern ihre Bücher andrehen.
Weil aber schon der Azubi in Landwirtschaft und Gartenbau lernt, daß das Escherichia coli eines der variantenreichsten Bakteriums ist und auch auf ganz natürliche Weise zu immer neuen Mutationen neigt, dürfte genau das die einfachste Lösung des Rätsels sein: Nämlich daß irgendwer irgendwo dieses Bakterium in seinem Körper „ausgebrütet“ hat, dem es aus diesem Grund garnicht selbst schadet, und es unwissentlich weiter gegeben hat. Das passiert in der Historie der Kranheitserreger schon seit Jahrtausende und wird von der Medizin jedes Jahr mehrfach registriert – siehe das alljährliche Beispiel mit den Grippeviren. Aber diese Lösung wäre natürlich nicht so sensationell und vor allem weder auflagensteigernd für die Presse noch umsatzsteigernd für Geschäftemacher mit der Angst.

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